Ja, die Messe ist ein Gedächtnis!

Viele unserer protestantischen Geschwister werden sich an dieser Stelle wundern. Die Messe ist ein Gedächtnis? Legen Katholiken nicht viel Wert darauf, dass die Messe ein Opfer ist, ja bringen Katholiken nicht sogar Jesus Christus in jeder Messe erneut ans Kreuz, der Katholizismus als unblutiger Opferkult? Nun, ich kann unsere protestantischen Geschwister beruhigen. Die Messe ist natürlich ein Gedächtnis (Katechismus der Katholischen Kirche 1330) und sie ist im wortwörtlichen Sinn Danksagung – Eucharistie (KKK 1328). Sie ist aber auch im direkten Sinn ein Heiliges Opfer, die Vergegenwärtigung des historisch einmaligen Opfers Jesu Christi. Die Messe ist sehr viel, Theodor Schnitzler hat in seinem Buch Was die Messe bedeutet (Herder 1976) die verschiedenen Aspekte der Messe beleuchtet.

Mit der Annahme, die Wiederholung des Abendmahls sei ein Gedächtnis und Jesus Christus habe mit seiner Weisung Tut dies zu meinem Gedächtnis! eben ein Erinnern gemeint, begehen wir keinen Irrtum, die Annahme ist ohne jeden Zweifel richtig. Nur verstehen wir, was Gedenken und Gedächtnis bedeutet? Was passiert, wenn wir an etwas Denken, etwas aus unserer Erinnerung holen? Darüber lohnt es sich nachzudenken. Denn auch wenn wir wissen, dass wir dies zu seinem Gedächtnis tun sollen, wissen wir damit noch nicht, was Jesus Christus überhaupt unter Gedächtnis verstanden hat. Das Wort ist Mensch geworden (vgl. Joh 1,14) und es trägt uns auf, eine Handlung zu vollziehen, in der sich dieses Wort mit dem Brot und dem Wein, in welchem Verständnis auch immer, identifiziert.

Ich glaube, dass wir persönlich zu schnell sind, wenn wir dem jüdischen Rabbi Jesus Christus unterstellen, dass er Gedächtnis in der für unsere westliche Welt üblichen materialistischen Auffassung meinte. Ja, die Christen sollen an etwas denken, das sie in einem Buch gelesen haben, oder sollen sie vielleicht etwas in ihre Gegenwart holen, das sie an die Befreiung von der Sünde erinnert? Und was passiert beim Erinnern? Nun, ich glaube es lohnt sich, einen Blick auf das jüdische Verständnis der Erinnerungskultur zu werfen, wenn wir verstehen wollen, was für ein Verständnis der Welt hinter den Worten von Jesus Christus steht und was passiert, wenn wir “Abendmahl” feiern. Es lohnt sich darüber nachzudenken, wenn man einen Zugang zum Verständnis der Heiligen Messe bekommen möchte.

Anmerkung der Redaktion: Die Messe ist freilich noch mehr als eine solche liturgische Erinnerung oder “Vergegenwärtigung”. Denn ein und der selbe Opferpriester (Jesus Christus selbst) und ein und die selbe Opfergabe (der Opferleib und das Opferblut Christi) wie vor 2000 Jahren am Kreuz werden durch die Wandlungsworte in jeder Messe real gegenwärtig; Christus opfert sich bzw. Sein Fleisch und Blut in jeder Messe neu auf; das blutige Schlachtopfer am Kreuz wird auf unblutige Weise durch die Doppelkonsekration dargestellt und vollzogen; es geschieht durch dieselbe eine mystisch-sakramentale Schlachtung und dieses Schlachtopfer wird nun als Opfer der Kirche von uns allen durch die Hand des Amtspriesters dem himmlischen Vater dargebracht. So ist jede Messe ein wahres und eigentliches Opfer, und dabei aber wesentlich dasselbe wie das Kreuzesopfer.

Doch einleitend einige Worte zu den Diskussionen um die heiligen Zeichen von Brot und Wein und der sog. Transsubstantiation. In welcher Weise Christus Jesus in den Gestalten von Brot und Wein beim Abendmahl gegenwärtig ist, ist nicht nur ein langer Streit zwischen katholischen und evangelischen Geschwistern, auch innerhalb der protestantischen Gemeinschaften gibt es keine Einigkeit. Das führte soweit, dass die Reformatoren kein Abendmahl zusammen feiern konnten. Aufgrund dieser Uneinigkeit innerhalb der protestantischen Gemeinschaften eignet sich dieses Thema auch nicht als Bashing gegen die katholische Kirche. Der “Leib Christi” ist zu vielfältig in diesen Fragen. Manche protestantische Gemeinschaften wie die Lutheraner stehen dem katholischen Standpunkt näher als der Position anderer protestantischer Gemeinschaften. Kein geringerer als Luther verteidigte die leibhaftige Gegenwart Christi in der Eucharistie (Konsubstantiation) gegenüber Zwingli und den Symbolisten. Ein Blick in die Kirchengeschichte zeigt, dass die Christenheit seit Anbeginn um das richtige Verständnis gerungen hat – ist Jesus Christus direkt und persönlich „mit seinem Leibe und seinem Blut“ in den Gestalten von Brot und Wein anwesend oder handelt es sich um eine symbolische Handlung, an die wir uns erinnern und die wir bestenfalls aus einem alten Buch kennen?

“In der scholastischen Theologie vor Thomas von Aquin war eucharistietheologisch die Fragestellung leitend, wie Christi Gegenwart in den Gaben von Brot und Wein zu verstehen sei. Typologisch lassen sich zwei Deutungsvarianten unterscheiden: Die eine hat die Gegenwart Christi spiritualistisch aufgeweicht und die gewandelten Gaben von Brot und Wein lediglich als Erinnerungszeichen interpretiert; die andere hat demgegenüber einen krassen Sakramentenrealismus vertreten, indem sie die konsekrierten Gaben unmittelbar mit dem Fleisch und dem Blut des historischen Christus identifizierte. Vor dem Hintergrund dieser Deutungen, die historisch auf die Spannung zwischen augustinischem Spiritualismus und ambrosianischen Realismus zurückgehen und Gegenstand der beiden Abendmahlskontroversen im 9. und 11. Jahrhundert waren, wird man die Bemühung des Thomas von Aquin zu würdigen haben, den Modus der eucharistischen Vergegenwärtigung präzise zu bestimmen, und zwar so, dass die traditio des Vermächtnisses Jesu von Verfälschungen in die eine oder andere Richtung frei bleibt.”

Jan-Heiner Tück, Gabe der Gegenwart, S. 83f.

Die Reformatoren wichen zwar von der katholischen Überzeugung, dass sich die Substanz von Brot und Wein in Leib und Blut Christi wandelt, ab, waren sich aber dennoch uneins, wie das Abendmahl verstanden werden muss. Luther selbst, der davon ausging, dass keine Wandlung vollzogen wird, aber Christus substantiell gegenwärtig ist bzw. zu der Substanz von Brot und Wein hinzutritt, debattierte mit Zwingli, der das Abendmahl als symbolisches Geschehen verstand. Später versuchte Calvin einen Mittelweg zwischen beiden Positionen zu finden.

Der biblische Befund gibt erst einmal keinem dieser philosophischen Modelle den Vorzug. In der Schrift werden wir darüber informiert, dass wir das Geschehnis zum Gedächtnis wiederholen sollen. Der Auftrag an die Christen ist eindeutig. Wir sollten an dieser Stelle nicht zu vereinfacht denken und die Idee eines symbolischen Vollzugs als etwas Theoretisches sehen oder die tatsächliche Gegenwart Christi auf etwas fleischlich-physisches reduzieren. Beides ist zu vereinfacht und übersieht die durch ein Symbol abgebildete Wirklichkeit. Symbole erinnern den Menschen an die mit ihnen verknüpften Wirklichkeiten und holen sie in die Gegenwart. Ein symbolisches Verständnis des Abendmahls schließt nicht die Vergegenwärtigung aus, im Gegenteil, ein Gedächtnismahl beinhaltet per Definition das In-die-Gegenwart-setzen eines zeitlich betrachtet vergangenen Geschehens und die erneute Erfahrung des Geschehens, ohne das Geschehen selbst zu wiederholen.

“Diese Ebene des Erinnerns stellt den gegenwärtig erlebten Augenblick als gleich-zeitig, co-synchron mit dem ursprünglichen Augenblick wieder her, mehr noch: erschafft den ursprünglichen Augenblick sogar neu.”

Joseph A. Kanofsky, Zikaron: Kultur der Erinnerung im Judentum, in: Zeitschrift für christlich-jüdische Begegnung im Kontext (ZfBeg), Nr 01-02 (2020): Erinnerungskultur im Wandel, S. 6-7 (https://zfbeg.org/ojs/index.php/cjbk/issue/view/34).

Insofern ist jedes “Tut dies zu meinem Gedächtnis!” beim Abendmahl eine Erschaffung des ursprünglichen Augenblicks, durch die jene “göttliche Gegenwart ins Werk” gesetzt wird, “die beim ersten Mal sichtbar war”, als die Jünger im Abendmahlssaal versammelt waren. (ebd.)

“Das geschichtlich-lineare Zeitverständnis wurde in Israel vor allem prägend für das religiöse Symbolsystem. Grundgelegt wurde es durch eine Semiotisierung der Geschichte. Dies geschah dadurch, dass das Außergewöhnliche nicht eliminiert, sondern im Bewusstsein der Gesellschaft thematisiert und erinnert wurde. Einem (einmaligen, außergewöhnlichen) Geschehen wird eine über den Tag hinausreichende Bedeutung zuerkannt, genauer: in einem (historisch einmaligen) Geschehen wird ein Sinn vernommen, der in jeder Gegenwart neu vernommen werden wollte und der sich erst in der Zukunft in seiner Vollgestalt erschließen sollte. Derartige Ereignisse werden in der biblischen Überlieferung mit einem Handeln Gottes in Verbindung gebracht.”

Bibelwissenschaft.de: Zeit, Zeitverständnis (Link)

In der Vergegenwärtigung, der Wiederherstellung des “gegenwärtig erlebten” Augenblicks als “gleich-zeitig, co-synchron mit dem ursprünglichen Augenblick”, vollzieht sich das “Heilsmysterium” (KKK 1332): “Sooft das Kreuzesopfer, in dem ‚Christus, unser Osterlamm, geopfert wurde‘, auf dem Altar gefeiert wird, vollzieht sich das Werk unserer Erlösung” (LG 3). Diese katholische Lehre schließt direkt am biblischen Denken an:

“Erinnerung heißt, dass das Vergangene vergegenwärtigt wird und auf diese Weise wirkt.”

Bibelwissenschaft.de: Zeit, Zeitverständnis (Link)

Die Transsubstantiationslehre versucht einerseits, der spiritualistischen Relativierung wie auch dem unangebrachten Realismus entgegenzutreten, andererseits die Betrachtung auf die substantielle Wirklichkeit hinter den sichtbaren Zeichen zu lenken, und gleichzeitig am biblischen Denken festzuhalten und das Abendmahl als “Gedächtnis” so zu verstehen, wie es dem Denken Jesu entsprach. Der biblische Befund und die Betrachtung des Verständnisses von Erinnerung, wie es das jüdische Volk hatte, führt uns weg vom neuzeitlichen Relativismus und lässt uns die Heilsnotwendigkeit der Vergegenwärtigung, Tut dies zu meinem Gedächtnis!, wie sie sich in jeder Messe vollzieht, begreifen.

Das Erlösungswerk wurde historisch einmalig am Kreuz vollbracht, doch im jüdischen Verständnis ist die regelmäßige Vergegenwärtigung dieses Kreuzesopfers das, was die “göttliche Gegenwart ins Werk” setzt und auf diese Weise wirkt.

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